In der Farbenlehre spricht man davon, dass für uns Mitteleuropäer die Farbe Rot am intensivsten erscheint, rote Objekte wirken näher, lauter, wichtiger. Damals, als ich von der vierten Klasse in die Fünfte wechselte, neue Schule, neue Leute, da war alles so unbekannt, so groß, so erschreckend. Ich blickte in die Runde, vor all den neuen Eindrücken sah ich nur eine graue Wand. Und Sie. Sie stand da, inmitten der anderen. Sie leuchtete. Sie fiel mir auf. Sie war mein Rot.

Ich war sofort verliebt. Aber jung und schüchtern und zweifelnd habe ich niemals den Mut aufbringen können, mit ihr zu sprechen, oder sonst in irgend einer Art und Weise zu interagieren. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, ich hatte Angst vor ihr. Ihre Schönheit, ihr knallhartes Auftreten und ihre Stiefel ließen mich geradezu erstarren. Ich träumte von ihr, beobachtete sie heimlich, idealisierte sie. Sie war das perfekte Mädchen, dass die nächsten fünf Jahre zu meinem Idealbild einer Frau heranwuchs. Dann trennten sich unsere Wege, vergessen habe ich sie nie. Immer blieb sie in meinen Gedanken, jede Frau musste sich an ihr messen, keine konnte ihr das Wasser reichen.

Bis heute ist sie mein Rot geblieben.

Sommer 2024

In den vergangenen Jahren hatten wir immer wieder mal kurzen, sporadischen Kontakt. Alles Gute zum Geburtstag, etwas Smalltalk hier, kurzer Austausch über geteilte traumatische Erlebnisse dort. Dann aber, eines schönen Tages diesen Sommer, war sie plötzlich da und ist nicht mehr gegangen. Ich befand mich aufgrund des sich anbahnenden Unweigerlichen, völligster Überarbeitung inmitten meines diesjährigen Großprojekts, und meiner Dämonen an einem dunklen Ort, in einem tiefen Loch. Sie holte mich da raus. Unnachgiebig, mit ihrem Charisma, aber auch mit ihrer wundervollen Art, einfach ganz schmerzhafte Dinge anzusprechen, nicht locker zu lassen und in die Tiefe einzutauchen.

Ich habe Probleme damit, anderen Menschen zu vertrauen. Mit ihr aber war sofort eine Vertrautheit vorhanden, die ich niemals zuvor erlebte, von der ich nicht einmal wusste, dass ich sie empfinden kann. Wie so viele andere Empfindungen, Emotionen und Gefühle ihr gegenüber auch.

Seit diesem Tag ist sie immer da, wenn ich sie brauche, physisch oder zumindest per Telefon. Was sie bisher alles für mich auf sich genommen hat, hat noch kein Mensch für mich je getan. Sie wurde meine beste Freundin, und noch viel mehr. Sie ist der schönste Mensch dieser Erde, innerlich und äußerlich. Ich idealisiere sie noch immer, werfe mit Superlativen ohne Ende um mich. Aber diesmal nicht aus verliebter Verblendung, sondern weil ich sie kennen lernen durfte, weil ich sie sehe. Ich darf an ihrem Leben teilhaben und werde jeden Tag aufs Neue von ihr beeindruckt, geradezu umgehauen.

Immer wieder brauche ich das alleine-sein, brauche Abstand, Ruhe. Ich ziehe mich zurück, um Kraft zu tanken. Bei ihr ist das anders. Sie gibt mir Kraft, sie ist der erste Mensch, vor dem ich mich niemals zurückziehen will oder muss. Ich habe mich noch nie in Anwesenheit eines anderen so wohl gefühlt.

Wir haben so viel gemeinsam unternommen, miteinander erlebt, dieser Sommer war einfach der schönste meins Lebens. Ich fühle mich jung, stark, begehrt und geliebt, ich bin so voller Energie und Leben, wie ich es gar nicht kannte. Kein Mensch hat mir jemals so viel Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Verständnis, Loyalität, Zuneigung und “Liebe” geschenkt wie sie. Ich wusste gar nicht, wie sich das anfühlt.

Wie geht’s weiter?

Wie sich herausstellte, sind wir gleich. Wir denken gleich, handeln gleich, teilen in fast allen Dingen die gleichen Ansichten, haben den gleichen Humor. So vieles deutet darauf hin, dass wir füreinander geschaffen sind. Ich glaubte nie an ein Schicksal, doch die Erfahrungen mit ihr haben mich eines Besseren belehrt.

Ebenfalls stellte sich heraus, dass auch ich in Ihren Gedanken niemals in Vergessenheit geraten bin, hätte sogar schon in der Schule Kontakt zu ihr haben können. Später hätte es sogar Möglichkeiten gegeben, wie wir zueinander hätten finden können. Alles Dinge, die sich in der endlos langen Liste an verpassten Chancen und falschen Entscheidungen einreihen. Das bedauere ich sehr, es schmerzt mich.

Ich kann die Vergangenheit nicht ändern, ich gehe positiv in die Zukunft und werde alles dafür tun, dass das Schicksal, an das ich fest glaube, eintreffen wird. Ich wünsche mir so sehr ein gemeinsames Leben mit dieser beeindruckendsten und großartigsten Frau, die ich kenne. Das ist mein größter Wunsch. Ob er in Erfüllung geht, steht in den Sternen, aber was auch passiert, ich werde diese schönste Zeit meines Lebens so hart genießen, wie ich nur kann!

Warum schreibe ich das?

Das ganze Leben lernen wir, treffen Entscheidungen, machen Fehler. Wir haben nur dieses eine Leben. Meines könnte entweder die großartigste Lovestory aller Zeiten werden, oder aber das traurigste Drama, das die Welt je gesehen hat. Lernt aus meinen Fehlern. Seid mutig, offen, wagt etwas. Es gibt nichts schlimmeres als verpasste Chancen. Wer etwas wagt, der kann auf Ablehnung stoßen, das tut weh. Aber er kann auch gewinnen.

Wenn du nie etwas wagst, wirst du niemals gewinnen. Immer wird dich die Frage quälen, „Was wäre wenn..?“. Das ist Verschwendung, sei dir mehr wert. Ich wünsche dir, lieber Leser, liebe Leserin, dass du glücklich bist!

Mein Rot, ich liebe dich!